Bilder der Welt und Inschrift des Krieges

Fluchtpunkt von Bilder der Welt ist das Gedankenbild vom blinden 'Fleck' der Auswerter von amerikanischen Flugaufnahmen, die sich 1944 nur für die industrielle Anlage der IG-Farben, nicht aber für das nahegelegene Konzentrationslager Auschwitz interessierten. Kommentar und Hinweise auf den Luftaufnahmen zeigen, daß erst Jahrzehnte später der CIA entdeckte, was die Alliierten 1944 nicht sehen wollten: daß neben dem industriellen Bombenziel IG-Farben-Werke das KZ Auschwitz abgebildet war. (Einmal blitzt, inmitten dieser nachträglichen Untersuchung, das Bild eines Wellenkanals auf, das bereits am Anfang des Films zu sehen war, erkennbar auf die Bindung des Blicks rekurrierend: denn Blick und Gedanken sind nicht frei, wo Maschinen im Verein mit Wissenschaft und Militär das zu Untersuchende vorgeben).

Farocki trifft damit die Essenz der medialen Gewalt, eine 'terroristische Ästhetik' (Paul Virilio) des optischen Reizes, die heute auf den Kontrollbildschirmen wie auch im Fernsehen mit dem eingestandenen Ziel erscheint, so wie zu Kriegszeiten den Beobachter oder Zuseher entweder zum Komplizen oder zum potentiellen Opfer zu machen. (Christa Blümlinger) Die Luftaufnahmen der Alliierten halten die Zerstörung fest. Sie dokumentieren die Treffergenauigkeit der Bomben, konservieren Vernichtung.

Die Geschichte dieser Bilder von Auschwitz wird erzählt mit vielen anderen Geschichten von Bildern der Welt, vor und nach Auschwitz. Aber alle weisen sie auf jenes Bild, und Auschwitz ist in jedem einzelnen enthalten. Es bildet den Gravitationspunkt für die Schleifen der Filmteile und zugleich die Projektionsfläche für alle anderen Bilder: Sie tragen die Inschrift des Krieges, der Massenfertigung, des Verfalls der Handarbeit, der Enteignung der menschlichen Sinne und Fähigkeiten. Alfred Kantor war gezwungen zu zeichnen, er zeichnete 'fotografisch' genau, um das Unvorstellbare zu überliefern. Die Apparatur der Fotografie bildet diese Wirklichkeit nicht ab, das Medium ist selbst Resultat der Abstraktion gegenüber den Menschen, sie bringt eine Fremdheit mit sich, die zerstörerisch ist.

(Jörg Becker, 1989)

Regie, Buch Harun Farocki Regie-Assistenz, Recherche Michael Trabitzsch Kamera Ingo Kratisch Trickkamera Irina Hoppe Schnitt Rosa Mercedes Negativschnitt Elke Granke Ton Klaus Klingler Mischung Gerhard Jensen-Nelson Sprecherin Ulrike Grote Produktion Harun Farocki Filmproduktion, Berlin-West, mit
Mitteln der kulturellen Filmförderung NRW Produzent Harun Farocki Format 16mm, Farbe, s/w, 1:1,37 Länge 75 Min. Uraufführung 10.11.1988, Duisburg (Duisburger Filmwoche)