Die Bewerbung

Im Sommer 1996 filmten wir Bewerbungs-Übungen, Kurse, in denen man lernt, wie man sich für eine Anstellung bewerben soll. Wir filmten Langzeit-Arbeitslose, denen die Wohlfahrtsbehörde die Teilnahme an einem solchen Kurs aufgedrückt hatte und wir filmten Manager mit einem Zweihunderttausendmarks-Jahresgehalt, die sich einen Privat-Coach leisteten so wie einmal die freien Bürger Athens von einem Haussklaven in Rhetorik unterwiesen worden sind.

Schulabgänger, Studierte, Umgeschulte, Langzeitarbeitslose, ehemalige Drogenabhängige und Mittelmanager, sie alle sollen lernen, sich selbst anzubieten und zu veräußern, wofür es den Begriff Self-Managment gibt. Das Selbst ist vielleicht nur ein metaphysischer Haken, an den die soziale Identität gehängt ist. Im Bewerbungsgespräch soll der ganze Mensch erscheinen, nicht nur seine meßbare Eignung, die auf Papieren vorausgeschickt wird. Der ganze Mensch fühlt sich angenommen oder verworfen.

Es war Kafka, der die Aufnahme in ein Arbeitsverhältnis wie den Eintritt in Gottes Reich darstellte und auch, daß der Weg zu dem einen wie dem anderen ungewiß ist. Mit der größten Unterwürfigkeit wird heute über eine Arbeitsstellung geredet, ohne daß dies eine Verheißung wäre. Wie die Verlobung auf den Tag der Hochzeit und die Adventszeit auf Christi Geburtstag sind die Bewerbungsübungen auch zur Einstimmung auf die große Stunde gedacht. Ein wichtiger Augenblick ist schnell um und es gilt, ihn in Vorwegnahme zu verlängern, die Empfindungen von Hoffnung und Furcht zur Blüte treiben. Wir trafen eine Kursteilnehmerin, die schon ein halbes Dutzend solcher Kurse mitgemacht hat. Sie wird wohl nie eine Arbeit finden, wenn man sie nicht solche Kurse leiten läßt.

(Harun Farocki)

Regie, Buch Harun Farocki Kamera Ingo Kratisch 2. Kamera Bernd Löhr Schnitt Max Reimann Ton Ludger Blanke Musik Neil Young Recherche Ludger Blanke Produktion Harun Farocki Filmproduktion, Berlin, für den Süddeutschen Rundfunk, Stuttgart Produzent Harun Farocki Redaktion Juliane Endres Format Video-BetaSp, Farbe, 1:1,37 Länge 58 Min. Erstsendung 18.02.1997, arte Beitrag für die TV-Reihe La vie en face / Welt im Blick