Worte und Spiele

Die neuen Produktionsanlagen für die täglichen Talk- und Game-Shows liegen an den Peripherien der Großstädte, in Unterföhring bei München an einer Verlängerung der Bahnhofstraße, die Medienallee benannt ist. Der wichtigste Rohstoff dieses Industriezweiges, der so neu ist, daß er seine Kosten und Extrakosten, Profite und Extraprofite noch nicht zuverlässig voraussehen kann, ist der Alltagsmensch. Der ist billig und will sich zur Erscheinung bringen, aber hat er einen Schauwert?

Die Alltagsmenschen folgen einem Aufruf, der über Bildschirmtext ergeht, nach einer Vorauswahl werden sie von Producern und Betreuern in Scharen in Empfang genommen. Die Betreuer im Studentenalter erklären die Spielregel und üben den Auf- und Abtritt, erfragen und repetieren Lebensgeschichten. Sie sollen die täglich mehrfach umgeschlagenen Massen raffinieren, mit Engelssinn sind sie daran, ihnen etwas Ornament einzubleuen. Vor ein paar Jahren hätten sie einen Heil- oder Pflege-Beruf erstrebt. Jetzt lehren sie, wie man in die Kamera winkt und die nichtigste Erfahrung in deutliche Fertigsätze faßt. Sie geben belegte Brötchen aus und nehmen die Angst.

So geht es auch im Dokumentarfilm zu und die Talkundgameshows sind die dokumentarische Produktionsidee in industrieller Form. Wenn das Kino Träume produziert, dann dieses Fernsehen Träumereien. Man hing ihnen früher nach, wenn man auf ein Kissen gestützt aus dem Fenster auf den Hof oder die Gasse sah. Unbestimmte Empfindungen wallten auf und schwanden, hinterließen einen vagen Wunsch nach Wiederholung. Der gab ein Zauberwort ein, das sich nicht sprechen ließ und doch nachhallte... Das sind die Kriechströme des Bewußtseins. Sie sind kaum zu messen, oder: es gibt noch keine Geräte dafür. Diese Kommodifizierung der halbtoten Lebenszeit, wird sie helfen, die Träumereien festzustellen?

(Harun Farocki)

Regie, Buch Harun Farocki Kamera Ingo Kratisch, Rosa Mercedes, Ludger Blanke Schnitt Max Reimann Licht Leo Lumen Technik Horst Brams, Anna Faroqhi Ton Ludger Blanke, Sylvia Mittelstädt, Rolf Merker Musik Markus Spies nach Johannes Brahms, Opus 121 Denn es geht dem Menschen wie dem ViehMitarbeit, Recherche Ludger Blanke Produktion Harun Farocki Filmproduktion, Berlin Redaktion Bernd Michael Fincke Format Video-BetaSP, Farbe, 1:1,37 Länge 68 Min.