Regie, Buch Harun Farocki Recherche Matthias Rajmann Schnitt Harun Farocki, Max Reimann Kamera Ingo Kratisch Ton Matthias Rajmann Produktion Harun Farocki Filmproduktion, Berlin unterstützt durch Medienboard Berlin-Brandenburg GmbH Co-Produktion Jeu de Paume, Paris; Stuk, Leuven Format Video, Farbe, Ton, 20 Min. (Loop), Deutschland 2009 Anmerkung Single-Channel-Version erhältlich

Ernste Spiele III: Immersion

Im Januar 2009 drehten wir zwei Tage lang in Fort Lewis, in der Nähe von Seattle, im Bundesstaat Washington. Wir filmten einen Workshop in dem Zivil-Therapeuten Armee-Therapeuten vermittelten, wie man mit Virtual Iraq arbeitet. Es geht um die Behandlung von Soldaten und ehemalige Soldaten, die im Krieg traumatisiert wurden.

Die Immersions-Therapie lässt den traumatisierten Patienten das Schlüsselerlebnis wiederholen, nacherzählen und nacherleben. Virtual Iraq , kurz VI, ist ein Computer-Animations-Programm, mit dem die Immersion: das Eintauchen in das Angst machende Erlebnis erleichtert oder verstärkt werden soll. Die Einübung in das Verfahren wurde großenteils im Rollenspiel vermittelt. Dabei sitzt der Therapeut am Computer, eine Freisprechanlage auf dem Kopf. Der Patient sitzt oder steht daneben und trägt eine Datenbrille. Auf ihr wird das Programm von VI abgespielt. Es gibt zwei Schauplätze, einmal eine Straße durch die Wüste, die in einem gepanzerten Fahrzeug befahren wird, einmal eine orientalische Stadt mit Markt, Moschee, weiten Plätzen und engen Gassen; auch mit Häusern, durch die man navigieren kann. Die Navigation übernimmt der Patient, der Therapeut wählt Zwischenfälle an. Er kann den Patienten in einen virtuellen Hinterhalt führen oder zum Zeugen eines schrecklichen Attentats werden lassen. Dazu sind allerlei Geräusche anwählbar, Hubschrauber, Muezzine, Explosionen aller Art.

Am zweiten Tag kam es zu einem Virtuosenstück. Einer der Zivil-Therapeuten in der Rolle des Patienten erzählte von einem Patrouille-Gang durch Bagdad. Es war sein erster Einsatz; er wurde einem Jones zugeordnet. Sie hatten den Auftrag, die Straßen zu säubern, was hauptsächlich bedeutete, Propaganda-Plakate abzureißen. Jones schlug vor, sie sollten sich trennen und je eine Straßenseite übernehmen. Das war gegen den Befehl, aber sie taten es. Der Patient ging in einen Innenhof, da hörte er eine Explosion. Er sah nach – nun begann er mit Abschweifungen. Die Therapeutin, die die Therapeutin spielte, unterbrach ihn: was er da gesehen habe? Der Therapeut, der den Soldaten-Patienten spielte: „Als ich da ankam, sah ich...dass oberhalb seiner Knie nichts mehr war.“ An dieser Stelle sank er zusammen. Im Folgenden bat er mehrmals darum, die Sitzung abzubrechen, er ertrage es nicht mehr. Die Therapeutin bestand auf Fortsetzung. Er zögerte, stammelte, verhedderte sich immer wieder in umständlicher Darlegung seiner damaligen Überlegungen und Selbstvorwürfe. Er spielte das so überzeugend, dass Freunde von mir, denen ich erzählt hatte, dass wir ein Rollenspiel gedreht hatten, wenn sie die Arbeit sahen, doch annahmen, hier werde eine selbst 2 gemachte Erfahrung mitgeteilt. Auch der Presse-Offizier, der uns die Dreh- Genehmigung erteilt hatte, nahm an, hier habe jemand wirklich die eigene Erfahrung mitgeteilt. Selbst wenn der Therapeut nur so gut spielt, weil er etwas verkaufen will, muss diese Szene kein falsches Spiel sein.

(Harun Farocki)